Impact blog
Impact blog: Die gläserne Decke ist global
Der Internationale Frauentag ist ein bedeutender Tag für alle, Frauen wie auch Männer, und 2019 vielleicht mehr als je zuvor. Nach den Skandalen der vergangenen zwölf Monate erfuhr der diesjährige Weltfrauentag am 8. März besonders viel Aufmerksamkeit. Ungeachtet der Medienberichterstattung (und derjenigen, die die Gleichstellung der Geschlechter für längst gegeben/irrelevant/eine Verschwörung halten) ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, was dafür bereits unternommen worden ist und noch unternommen werden sollte, vor allem rund um die Welt.
In den reichsten Ländern der Welt sind in den letzten Jahrzehnten zweifellos grosse Fortschritte gemacht worden: Es sind wichtige Antidiskriminierungsgesetze verabschiedet worden, Frauen sind auf den Arbeitsmarkt geströmt und auch der Anteil der Frauen in den Führungsetagen der Unternehmen und auf den höheren Ebenen der Politik hat beständig zugenommen. Noch ist viel zu tun – in vielen gesellschaftlichen Bereichen liegt der Frauenanteil immer noch deutlich unter 50%. Und natürlich hat uns die #metoo Bewegung daran erinnert, dass erschreckend viele Frauen immer noch für ein absolutes Mindestmass an anständigem Umgang am Arbeitsplatz kämpfen müssen.
Gleichzeitig hat sich die Medienberichterstattung in den vergangenen Tagen stark auf die Lage der 3,1 Milliarden Frauen und Mädchen konzentriert, die in Entwicklungs- und Schwellenländern leben – völlig zurecht: Das sind vier Fünftel der weiblichen Weltbevölkerung. In einer vor kurzem vorgelegten Weltbank-Studie zu den verschiedenen gesetzlichen Hürden für Frauen sind die Entwicklungs- und Schwellenländer überrepräsentiert: In 104 Ländern dürfen Frauen bestimmte Berufe nicht ausüben, in 59 Ländern gibt es keine Gesetze zur sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz, und in 18 Ländern kann der Ehemann seiner Frau nach dem Gesetz verbieten, eine Arbeit aufzunehmen. Und selbst dort, wo gesetzliche Hürden abgeschafft worden sind, gibt es häufig immer noch erhebliche kulturelle Barrieren. Das gilt insbesondere für grosse Teile der nicht industrialisierten Welt.
«In 104 Ländern dürfen Frauen bestimmte Berufe nicht ausüben, in 59 Ländern gibt es keine Gesetze zur sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz, und in 18 Ländern kann der Ehemann seiner Frau nach dem Gesetz verbieten, eine Arbeit aufzunehmen.»
Paul Hailey, Head of Impact
Derartige Hindernisse machen es schwerer für Frauen, von Geburt an bis ins hohe Alter Zugang zu grundlegenden Versorgungsleistungen zu erhalten. Dadurch sind Frauen häufiger von Armut betroffen. Ohne Zugang zu einem Bankkonto, zu Düngemitteln für den Ackerbau, zu bedarfsgerechten medizinischen Leistungen, zu hochwertigen Bildungsangeboten oder formaler Beschäftigung sind wirtschaftliche Unabhängigkeit und politische Mitsprache für Frauen erheblich schwerer zu erreichen als für Männer.
«Der grösste Wachstumsmarkt der 2020er Jahre sind Frauen in Entwicklungs- und Schwellenländern – als Konsumentinnen, Unternehmerinnen, Beschäftigte, Managerinnen und noch viel mehr.»
Paul Hailey
In einem Moment wie diesem ist die Versuchung gross, den Kopf zu schütteln, einen Tweet abzusetzen oder eine E-Mail an den politischen Vertreter vor Ort zu schreiben. Doch die Lösung dieses Problems sollte und kann tatsächlich auch nicht allein den Regierungen überlassen werden. Die für die Realisierung der SDGs jährlich benötigten Investitionsmittel werden auf USD 4 Billionen geschätzt. Die bislang gesicherten Mittel belaufen sich aber auf lediglich USD 1,5 Billionen, wovon ein Grossteil von den Regierungen bereitgestellt wird. Damit fehlen noch USD 2,5 Billionen, unter anderem zur Finanzierung von Massnahmen in Bereichen, die für Frauen besonders wichtig sind: Gesundheit, Bildung, Hygiene, Landwirtschaft, Zugang zu Finanzierung.
Eine Stärkung dieser Sektoren könnte einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die vielen in den Entwicklungs- und Schwellenländern immer noch vorhandenen gläsernen Decken zu durchbrechen. Schliessen lässt sich diese Finanzierungslücke aber nur mit Hilfe privater Kapitalgeber. Tatsächlich ist diese vermeintlich enorme Summe nur ein kleiner Anteil des gesamten globalen Vermögens, das Credit Suisse auf USD 317 Billionen schätzt.
Wie Investitionen Frauen helfen, ein selbstbestimmtes Leben zu leben VIDEO
Noch grösser ist diese Opportunität durch die bereits erzielten Fortschritte. Die Zahl der Schülerinnen in weiterführenden Schulen in Entwicklungs- und Schwellenländern hat sich von 1999 bis 2017 um 50% auf 237 Millionen erhöht. Die Zahl der Studentinnen an den Universitäten dieser Länder hat sich in diesem Zeitraum sogar mehr als vervierfacht – das bedeutet, dass erstmals mehr Frauen als Männer in Entwicklungs- und Schwellenländern eine Universität besuchen. Damit treten so viele qualifizierte Frauen wie nie zuvor in den Arbeitsmarkt und in die Wirtschaft ein. Oder, um es anders auszudrücken: Vergessen Sie alle Berichte oder Prognosen, die Sie auf LinkedIn, Forbes oder CNBC sehen: Der grösste Wachstumsmarkt der 2020er Jahre sind Frauen in Entwicklungs- und Schwellenländern – als Konsumentinnen, Unternehmerinnen, Beschäftigte, Managerinnen und vieles mehr. Unternehmen, die die Bedürfnisse dieser Frauen in ihren Geschäftsmodellen berücksichtigen, können enormen Mehrwert generieren – für sich selbst, für ihre Kunden und für ihre Investoren. Schon heute sind 80% der Investitionsnehmer des Unternehmens, für das ich tätig bin, Frauen.
Lassen Sie uns die Frauen in unserem Leben feiern – gerne auch auf Instagram und Twitter und im globalen Dialog. Aber vergessen Sie nicht, dass wir auch bereit sein müssen, in Frauen zu investieren, wenn wir die Gleichstellung der Geschlechter zur Realität machen wollen.
Paul Hailey
Paul Hailey ist Head of Sustainability and Impact bei responsAbility Investments und Autor verschiedener Publikationen und Artikel. Bei responsAbility war er zuvor unter anderem als Senior Research Analyst für den Finanzsektor tätig. Er hat einen MBA von der École des Hautes Études Commerciales de Paris (HEC Paris), wo er auch als Dozent tätig ist, und einen B.A. (Hons) vom Pembroke College, University of Cambridge.