267 Jahre: Geschlechtergleichstellung nach der Pandemie

September 20215 min readGender equality

Die COVID-19-Pandemie hat sich nachteilig auf die Gleichstellung der Geschlechter ausgewirkt und die ökonomischen Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen noch verschärft.

Bemerkenswerterweise entfielen 54 % der Arbeitsplatzverluste während der Pandemie auf Frauen, obwohl sie lediglich 39 % der weltweiten Beschäftigung[1] ausmachen. Die Arbeitsplätze von Frauen waren während der Pandemie also 1,8 Mal stärker betroffen als die von Männern. Infolgedessen wird die Kluft zwischen den Geschlechtern in der Welt nach der Pandemie immer grösser: Auf 100 Männer in Armut kommen heute weltweit 118 Frauen, die in Armut leben[2]. Diese Zahl wird bis 2030[3] voraussichtlich auf 121 steigen.

Warum ist es für Frauen viel schwieriger, diese Krise zu überstehen?

Bereits vor der Pandemie hatten Frauen weltweit einen schlechteren Zugang zu Boden, Finanzkapital und sozialer Sicherheit. Im Jahr 2020 vergrösserte sich diese Kluft aufgrund verschiedener Faktoren: Frauen waren in den von der Pandemie am meisten betroffenen Branchen am stärksten vertreten. Dazu zählen die Gastronomie, der Einzelhandel, das Gastgewerbe und die Unterhaltungsbranche. In diesen Branchen arbeiten 40% aller erwerbstätigen Frauen. Darüber hinaus verloren 72 % aller Hausangestellten, von denen 80 % Frauen sind, ihren Arbeitsplatz als Folge von COVID-19[4]. Zudem stieg die unbezahlte Betreuungsarbeit von Frauen überproportional an, da die Schliessung von Schulen, Kinderbetreuungseinrichtungen und der verstärkte Bedarf nach Pflege älterer Menschen dazu führten, dass mehr Frauen aus dem Erwerbsleben ausschieden.

Nehmen Sie mein Heimatland Indien: Zwischen März und April 2020 schieden 26,6 % der weiblichen Arbeitskräfte aus dem Erwerbsleben aus, verglichen mit 13,4 % bei den Männern. Auch danach hat sich die Lage nicht wesentlich verbessert. So lag im Dezember 2020 die Zahl der weiblichen Erwerbspersonen noch immer um 14 % unter dem Stand von Dezember 2019, während sie bei den Männern[5] lediglich um 1 % tiefer lag.

Strenge landesweite Ausgangssperren in Indien bedeuteten, dass Millionen Inder aus der Mittelschicht und wohlhabende Familien ohne ihre Hausmädchen, Kindermädchen, Köchinnen und Krankenschwestern auskommen mussten. Da die Last der unbezahlten Betreuungsarbeit auf Haushalte von Doppelverdienern fällt, musste ich schmerzlich feststellen, dass sich einige sehr fähige Kolleginnen gezwungen sahen, ihr Gehalt, ihr berufliches Fortkommen und/oder ihre Bildungschancen zu opfern, um den häuslichen Pflichten und der Kinderbetreuung nachzukommen[6].

Das Weltwirtschaftsforum schätzt, dass es bei der derzeitigen Gangart 267,6 Jahre dauern wird, bis die Kluft zwischen den Geschlechtern in Bezug auf die wirtschaftliche Teilhabe und die Chancengleichheit geschlossen sein wird[7].

Es liegt auf der Hand, dass unser gemeinsames Handeln zum Wiederaufbau nach der Pandemie geschlechtsspezifischer werden muss, um wirksam zu sein. Unerlässlich ist es auch, eine Vielzahl von Akteuren mit einer gemeinsamen Vision für die Verbesserung der wirtschaftlichen Chancen von Frauen zu mobilisieren. Dies würde eine Reihe von Massnahmen erfordern, die dazu beitragen, das geschlechtsspezifische Lohngefälle zu verringern, den Zugang von Frauen zu Betreuungseinrichtungen für Kinder und älteren Menschen zu verbessern, geschlechtsspezifische Beschäftigungsziele festzulegen und, was am wichtigsten ist, die Einstellung der Gesellschaft gegenüber berufstätigen Frauen zu ändern.

Was können wirkungsbewusste Investoren tun, um die Lebensbedingungen von Frauen und Mädchen zu verbessern?

Gender Smart Investing ist eine wachsende Anlageklasse mit einem überzeugenden Business Case, die dazu beitragen kann, diese Lücke bei den wirtschaftlichen Chancen von Frauen zu schliessen. Dabei geht es um Investitionen mit der ausdrücklichen Absicht, geschlechtsspezifische Fragen anhand von nach Geschlechtern aufgeschlüsselten Daten und Metriken anzugehen. Im Rahmen dieses Ansatzes sind Fondsmanager aufgerufen, in Unternehmen zu investieren, in denen Frauen in Führungspositionen, in der Belegschaft, in ihren spezifischen Wertschöpfungsketten und in ihren Produkt- und Dienstleistungsdesigns angemessen vertreten sind. Faszinierend ist, dass es eine zunehmende Fülle von Indizien gibt, die einen starken Zusammenhang zwischen Investitionen in Frauen und besseren Finanzergebnissen nahelegen[8].

Wie trifft responsAbility geschlechtergerechtere Investitionsentscheidungen?

Im Juni 2021 hat responsAbility gemeinsam mit der schwedischen Entwicklungsagentur SIDA und der Danske Bank eine Sozialanleihe aufgelegt, in der Überzeugung, dass Investitionen in Frauen Investitionen in eine bessere Welt sind. Im Rahmen dieser Anleihe wird jede Investitionsentscheidung nach geschlechtsspezifischen Gesichtspunkten getroffen. Das bedeutet, dass eine Analyse der bestehenden Unternehmenspolitiken, -strategien und -ergebnissen durchgeführt wird, um Lücken zu ermitteln, die die geschlechtsspezifischen Ungleichheiten in Unternehmen systematisch verstärken können. Ein Gender-Smart- Bewertungsmonitor-Tool[9] wird angewandt, um für jedes Portfoliounternehmen einen Gender-Score zu erhalten. Anschliessend werden in Absprache mit den Portfoliounternehmen geschlechtsspezifische Aktionspläne erstellt, um ihnen einen Fahrplan für die gezielte Verbesserung ihrer geschlechtsspezifischen Ergebnisse im Laufe der Zeit zu geben. Die Fortschritte in Bezug auf diese Pläne werden dann während der Laufzeit unserer Investition kontrolliert.

Webinar über Gender Lens-Investitionen in Aktion

responsAbility erhebt und evaluiert auch systematisch nach Geschlecht aufgeschlüsselte Daten gemäss den Kriterien der 2X-Challenge[10], einer wichtigen Initiative zur Förderung des Zugangs zu Finanzdienstleistungen für Frauen. Einer unserer Klimafonds hat sich kürzlich ebenfalls für die 2X-Challenge qualifiziert. Interessanterweise wurde uns, als wir mit der Erhebung und Überwachung dieser Daten begannen, klar, dass mehrere unserer Portfoliounternehmen bis dahin noch nie nach Geschlecht aufgeschlüsselte Daten erhoben hatten. Jetzt, 5 Jahre später, sind diese Daten zu einem wichtigen Bestandteil ihrer Datensysteme geworden und haben das Potenzial, sehr wertvolle Geschäftseinblicke zu liefern[11].

Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, wenn es darum geht, unseren Beitrag zur Gleichstellung der Geschlechter in unseren Investitionsprozessen zu gestalten. Aber wir setzen uns konsequent für dieses Ziel ein. Nicht nur, weil wir davon überzeugt sind, dass dies gerecht ist. Sondern auch, weil es auch kommerziell zweckdienlich ist, sprich langfristig in einem höheren Unternehmenswert resultiert.


[1] McKinsey Global Institute, Juli 2020. Link.

[2] Armut ist definiert als täglich mit weniger als USD 1.90 auskommen zu müssen.

[3] UN Women report. Link

[4] UN Women report. Link

[5] CMIE, 2021. Link.

[6] Laut OWID-Schätzungen von 2014 liegt das Verhältnis von Frauen zu Männern, die unbezahlte Betreuungsarbeit leisten, in Indien bei 9,83 und ist damit das dritthöchste in der Welt. Link.

[7] The Global Gender Gap Report, März 2021, The World Economic Forum. Link.

[8] IFC, Oliver Wyman und RockCreek, 2020. Link.

[9] Das Bewertungs-Toolkit basiert auf dem GES-Toolkit von SEAF, den 2X-Kriterien, Catalyst at Large und Sagana

[10] Mehr zur 2X-Challenge finden Sie hier.

[11]Werfen Sie hier einen Blick auf PEG Solar, eines unserer Investitionsobjekte: Climate Finance and Gender Equality Go Hand in Hand - YouTube

Der Autor

Tanya Philip

Tanya Philip arbeitet als Impact Officer bei responsAbility Investments. Sie hat mehrere Forschungsberichte und Artikel zu nachhaltiger Finanzierung für Entwicklung und finanzieller Inklusion verfasst. Ihr breites Erfahrungsspektrum umfasst die Messung und Verwaltung von Impact, Beratung im öffentlichen und privaten Sektor, Projektmanagement und die Gestaltung quantitativer Studien. Sie hat einen Masterabschluss in International and Development Economics von der Yale University sowie einen Bachelorabschluss in Wirtschaftswissenschaften vom St. Xavier's College in Mumbai.