Bonität der Schwellenländer: Eine Dekade des Wandels
Das vergangene Jahrzehnt (2014-2024) war ein Belastungstest für Schwellenländer wie kaum ein anderes in jüngerer Vergangenheit. Vom Ende des Rohstoff-Superzyklus und Veränderungen in der US-Geldpolitik über eine globale Pandemie bis hin zu zunehmenden geopolitischen Spannungen – Schwellen- und Entwicklungsländer (EMDEs) sahen sich einer unablässigen Reihe externer Schocks ausgesetzt. Dennoch fanden viele Volkswirtschaften Wege, sich anzupassen, zu stabilisieren und weiter zu wachsen.
Für Investorinnen und Investoren wurde in diesen Jahren deutlich, dass Schwellenländer nicht nur durch Volatilität gekennzeichnet sind. Sie sind vielfältig, dynamisch und zunehmend transparent – mit Bonitätsentwicklungen, die ebenso stark durch lokale Reformen und Institutionen wie durch globale Kräfte beeinflusst werden. Dies macht selektive, langfristige Investitionen umso relevanter.
Diese Märkte können nicht nur unter dem Gesichtspunkt von Risiken betrachtet werden, sondern auch unter dem der Chancen: zur Vertiefung der finanziellen Inklusion, zum Aufbau von Klima-Infrastrukturen, zur St ärkung landwirtschaftlicher Wertschöpfungsketten und zur Mitgestaltung einer nachhaltigeren, chancenreicheren Welt. Ein Blick darauf, wie sich die Länderrisiken in den letzten zehn Jahren entwickelt haben, bietet wichtige Einblicke in die Resilienz und Differenzierung und zeigt, warum wir uns weiterhin dafür einsetzen, Kapital dort zu mobilisieren, wo es am meisten bewirken kann.
Ein sich wandelndes, aber differenziertes Bild staatlicher Kreditwürdigkeit
Ein Rückblick auf die Jahre 2014 bis 2024 zeigt bei den Verläufen von staatlichen Bonitätsbewertungen (Sovereign Ratings) in Schwellen- und Entwicklungsländern (EMDEs) ein Bild, das sowohl Verletzlichkeit als auch Resilienz offenbart. In der ersten Hälfte des Jahrzehnts blieben die meisten Ratings unter insgesamt günstigen globalen Bedingungen stabil. Viele Länder erhielten sogar erstmals ein offizielles Länderrating – ein Schritt, der die Markttransparenz erhöhte und wertvolle externe Einschätzungen lieferte, die wir kontinuierlich beobachten (siehe Grafik unten).

Doch unter der Oberfläche offenbarte der starke Rückgang der Rohstoffpreise fiskalische und externe Schwächen – insbesondere in ressourcenabhängigen Volkswirtschaften wie Angola, Brasilien, Kasachstan, Nigeria und Südafrika. In den späteren Jahren kamen neue Herausforderungen hinzu: Die COVID-19-Pandemie, Lieferkettenstörungen, globale Inflation und eine starke Straffung der US-Zinspolitik stellten die Widerstandsfähigkeit der EMDEs auf die Probe. Die Schuldenlast wuchs und die geopolitischen Risiken trugen zur Zurückhaltung der Investoren bei. Zwischen 2019 und 2024 erlitten über 20 EMDEs Herabstufungen um mehr als eine Ratingstufe.
Insgesamt betrachtet, zeigt das Jahrzehnt eine Netto-Verschlechterung der staatlichen Kreditprofile in den EMDEs – mit einer deutlichen Verschiebung hin zu niedrigeren Ratings im Jahr 2024 im Vergleich zu 2014. Dies spiegelt das kumulierte Gewicht globaler und nationaler Belastungen wider, macht aber auch deutlich, wie rasch sich die wahrgenommene Kreditwürdigkeit verändern kann – und warum eine sorgfältige Beobachtung der Kreditentwicklung unerlässlich ist. Angesichts der aussergewöhnlichen Belastungen in diesem Zeitraum ist es kaum überraschend, dass einige Staaten – darunter Ghana, Libanon, Sri Lanka, Ukraine und Sambia – letztlich ihre Schulden restrukturieren mussten.

Lektionen in Widerstandsfähigkeit und Differenzierung
Diese globalen Belastungsfaktoren verdecken jedoch ein differenzierteres Bild - eines, das unterstreicht, warum lokale Politiken, Institutionen und Reformwege so wichtig sind. Jamaika zum Beispiel setzte seine bemerkenswerte, mehrjährige Krediterholung fort. Auch Serbien und Vietnam konnten ihre positive Dynamik ausbauen und zeigen, wie solide makroökonomische Rahmenbedingungen, glaubwürdige Reformen und externe Unterstützung den Ländern helfen können, selbst unter turbulenten globalen Bedingungen ihre Kreditprofile stetig zu verbessern.
Diese Beispiele zeigen deutlich: Kreditentwicklungen hängen stark von länderspezifischen Fundamentaldaten ab. Betrachtet man die breiteren Einkommensgruppen, so erwiesen sich die aufstrebenden Volkswirtschaften mit höherem, mittlerem Einkommen, die sich auf tiefere Märkte und reifere Institutionen stützen, im Durchschnitt als etwas widerstandsfähiger. Viele Länder mit niedrigem mittlerem Einkommen sahen jedoch ihr Kreditrating unter Druck, was sowohl ihre Schuldenrisiken als auch die stärkere Anfälligkeit für externe Finanzierungsschocks widerspiegelt. In Ländern mit niedrigem Einkommen, insbesondere in Afrika südlich der Sahara, kam es zu einer weit verbreiteten Herabstufung, die oft mit einer Kombination aus politischer Instabilität, Sicherheitsproblemen und begrenztem fiskalischem Spielraum zusammenhing.
Für Investorinnen und Investoren ergibt sich daraus eine zentrale Erkenntnis: EMDEs sind alles andere als homogen. Unterschiedliche Fundamentaldaten und politische Reaktionen führen zu divergierenden Kreditverläufen - selbst bei gemeinsamen globalen Spannungen. Dies verdeutlicht, warum eine präzise Einschätzung und Bepreisung von Kreditrisiken unerlässlich ist, um nachhaltiges Wachstum verantwortungsvoll zu finanzieren.
Wie responsAbility mit diesen Dynamiken umgeht
In den vergangenen zwei Jahrzehnten basierte unsere Anlagestrategie in Schwellenländern stets auf fundierter lokaler Expertise und einer disziplinierten Risikobewertung. Der gewichtete Durchschnitt des Länderratings unseres Anlageportfolios ist in den letzten zehn Jahren bemerkenswert stabil geblieben und hat sich sowohl in den Jahren 2014–2019 als auch 2019–2024 sogar leicht verbessert. Das unterstreicht, wie wir uns in einem sich wandelnden Umfeld bewegen – Risiken sorgfältig managen, während wir unsere Länderexponierung dynamisch anpassen, um Chancen zu nutzen und Risiken, die sich aus Veränderungen ergeben, abzumildern.
Zudem sind einige unserer Investitionen eng mit dem makroökonomischen Umfeld verbunden – etwa Kredite an Finanzinstitute – während andere, wie nachhaltige Ernährung und Klimainfrastruktur, davon weitgehend unabhängig sind.
Entscheidend ist: Unser Geschäft besteht nicht darin, Risiken zu vermeiden – sondern sie zu verstehen, zu bewerten und aktiv zu steuern. Durch unsere breite Tätigkeit in vielfältigen EMDE-Kontexten haben wir robuste Methoden zur Beurteilung der Kreditwürdigkeit entwickelt, um Herausforderungen frühzeitig zu erkennen und gemeinsam mit unseren Partnern auch in unsicheren Zeiten handlungsfähig zu bleiben.
Eine transparentere, chancenreiche Zukunft
Eine positive Entwicklung in diesem Zeitraum ist der kontinuierliche Anstieg der Markttransparenz. Mehr EMDE-Staaten denn je werden heute von internationalen Ratingagenturen bewertet – ein Fortschritt, der klarere Vergleichsmassstäbe und bessere Frühwarnsignale für Investorinnen und Investoren bietet. Volatilität ist in Schwellenländern zwar inhärent, eröffnet jedoch häufig Chancen, mit starken Unternehmen zusammenzuarbeiten und Kreditrisiken so zu bepreisen, dass sie sowohl die Risiken als auch das Wachstumspotenzial widerspiegeln.
Das vergangene Jahrzehnt hat letztlich gezeigt, dass Resilienz oft unterschätzt wird. Viele EMDEs haben bewiesen, dass sie in der Lage sind, ihre Politik anzupassen, Wachstum aufrechtzuerhalten und Investitionen anzuziehen – selbst unter wiederholtem globalem Gegenwind.
Unsere Vision bei responsAbility ist es, Kapital zu mobilisieren und in Schwellenländern zu investieren, um eine nachhaltige Welt mit Zugang zu Chancen für alle mitzugestalten. In einem Umfeld, in dem viele EMDE-Staaten mit zunehmenden Einschränkungen konfrontiert sind, könnten unsere Investitionen – gestützt auf gründliche Risikoanalysen und einen langfristigen Partnerschaftsansatz – wichtiger sein denn je. Es geht nicht nur darum, Kreditverschiebungen zu managen – sondern darum, aktiv an einer inklusiveren und widerstandsfähigeren Zukunft mitzuwirken.
Mehr zu Schwellenländern
Philipp Waeber
Philipp Waeber ist Chefökonom von responsAbility. Mit 15 Jahren Erfahrung in makroökonomischer Analyse verfügt er über einen reichen Erfahrungsschatz bei der Bewertung grosser kontextbezogener Risiken für unsere Investitionen und verantwortet Investitionsentscheidungen in herausfordernden Märkten. Obwohl er seinen Fokus oft auf spezifische Länder legt, behält er das Gesamtbild im Auge und schreibt gelegentlich darüber, wie im obigen Artikel. Philipp hat einen zweisprachigen Master-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften und ist Chartered Financial Analyst (CFA).